Auszüge aus einem Artikel in der dieswöchigen Ausgabe meiner Lieblingszeitung "Die ZEIT":
"Nicht der Fortschritt ist unser höchster Wert, es ist die Freiheit, und das schließt die Freiheit ein, konservativ, reaktionär oder vorsintflutlich zu sein.
Warum Europa nicht nur religionsfern, sondern in Religionsdingen so feindselig verkrampft
ist, warum das Religionsmisstrauen geradezu zum Identitätsmerkmal, zum Definitionskriterium des Europäertums wird – dafür gibt es im Augenblick noch einen besonderen Grund, und wie so vieles Europäische hat er mit Amerika zu tun: Frömmigkeit, das ist Bush, und wir sind Anti-Bush. Die EU will kein intoleranter »Christenclub « sein, das spricht für die Aufnahme der Türkei, aber prompt bekommen viele, besonders im laizistischen Frankreich, Furcht vor der Islamisierung. Das muslimische Kopftuch droht und lauert an jeder Ecke.
Europa leidet unter Fundamentalismusangst: In seiner nahöstlichen Nachbarschaft, und bis hinein in die eigenen Städte, sieht es die islamischen Fanatiker am Werk, und in Texas (bis mindestens zum kommenden Dienstag auch noch in Washington) die christlichen. Der Glaube und die Gläubigen erscheinen als Gefahr für das zivile, aufgeklärte, postideologische europäische Projekt.
Doch steckt in dieser Religionsphobie ein Denkfehler. Fundamentalismus heißt nicht, dass einer glaubt, und sei es noch so fest oder noch so anachronistisches Zeug. Fundamentalismus heißt, dass er seine Überzeugungen den Un- und Andersgläubigen aufzwingen will. Worauf es ankommt, ist die Grenzziehung: zwischen Religion und Politik, Kirche und Staat, geistlich und
weltlich, Moral und Recht, Gesinnung und Handeln. Das eine vom andern zu trennen ist seit den mittelalterlichen Kämpfen zwischen Papst und Kaiser westliche, abendländische Tradition geworden. Man könnte sie auch europäisch nennen. "